»Und so sei dieses Buch selbst in besonderer Herzlichkeit dem Andenken dieses Mannes gewidmet, der einsam und verlassen, verkannt und wenig geliebt, in viel Not und Leid sein irdisches Dasein lebte, der ein Mann war, ehrlich und treu, in allem aber ein Künstler voller Hingabe und großer starker Fähigkeiten, als welcher er noch lange in dem nachleben wird, was er der Mitwelt schuf, – der aber daran litt und vielleicht auch zuletzt zusammenbrach, weil es ihm nicht vergönnt war, ganz das werden zu können, wozu er im tiefsten berufen war.«
Mit diesen ergreifenden Worten leitete der Verleger Wilhelm Steiger aus Moers 1930 sein Niederrheinisches Sagenbuch ein. Gustav Olms, dessen letzte Arbeiten das Buch brachte, war drei Jahre zuvor gestorben. Das Wenige, was über Olms bekannt ist, geht größtenteils auf ein Kapitel in Steigers Autobiographie Erinnerungen eines simplen Buchhändlers zurück. Besagtes Kapitel erscheint auf den ersten Blick ergiebig, vor allem hinsichtlich der anekdotenhaften Beschreibungen der eigensinnigen Persönlichkeit Olms’. Doch dürfen wir nicht jedes Wort Steigers für bare Münze nehmen. Aus bisher ungeklärten Gründen verschweigt der Verleger zum Beispiel, dass Olms verheiratet war und erweckt den Eindruck, er sei Junggeselle gewesen.
Als der zweiundzwanzigjährige Gustav Olms im Herbst 1887 in die Düsseldorfer Kunstakademie eintrat, hätte immerhin der Grundstein zu einer erfolgreichen Laufbahn gelegt werden können. Die Akademie genoss durch die Düsseldorfer Malerschule internationalen Ruhm, namhafte Vertreter bekleideten eine Professur. Unter anderem studierte Olms bei dem Historienmaler und späteren Akademiedirektor Peter Janssen (1844-1908), dem Architekten Adolf Schill (1848-1911) sowie dem protestantischen Historienmaler Eduard von Gebhardt (1838-1925). Zunächst aber durchlief der angehende Künstler die Elementarklasse Heinrich Lauensteins (1836-1910), eines Historienmalers, der wie er aus Hildesheim stammte und ihn durch „Einladungen und kleine Aufträge“ zu fördern versuchte. Diesen gönnerischen Versuchen widersetzte sich Olms offensichtlich – wie er auch später immer wieder denjenigen eine Absage erteilte, die ihn unterstützen wollten So erzählt Steiger, dass ein Kommerzienrat dem Künstler einmal für ein jüngst entstandenes Gemälde 2000 Goldmark bot:
„Das Bild, das er sich an diesem Aschermittwochmorgen erdacht hatte, stellte Christus in einer Großstadtstraße dar, wie er einer Fastnachtssünderin die Sünden vergibt und sie symbolhaft segnet. Diesem Werk widmete Olms die nächsten Tage bis es vollendet war.“
An den Kaufpreis war nun die Bedingung geknüpft, dass das Geld auf ein Sparkonto zu zahlen sei („um für das Alter des Malers vorzusorgen“). Die Idee des Sparkontos regte Olms aber derart auf, dass er in einem Wutanfall
„einen alten Kürassiersäbel von 1813 blankzog und das Bild in der Mitte durchhieb.“
Ein anwesender Künstlerfreund restaurierte das Gemälde fachgerecht – sah seine Bemühung aber schließlich zunichte gemacht, als Olms trotzig der Christusfigur einen Zylinder aufmalte, das Bild damit vollends ruinierte und sich so um das Sparkonto brachte.
Auf der Akademie fiel Olms nicht besonders auf, er vernachlässigte das Studium und bildete sich autodidaktisch weiter. Das Verzeichnis der zwischen 1887 und 1892 von ihm besuchten Klassen (mit durchweg guten bis sehr guten Beurteilungen) schließt für das Jahr 1892 mit der lakonischen Bemerkung „weggeblieben“. In einem Dankesbrief an Steiger anlässlich der Übersendung des Niederrheinischen Sagenbuchs äußerte der damalige Bibliothekar des Künstlervereins Malkasten – einer zentralen Institution im geselligen Kunstleben der Stadt – und Akademieprofessor Willy Spatz (1861-1931) seine Bewunderung über die Illustrationen und bekennt:
„Es drängt mich aber auch, offen zu gestehen, daß es mir völlig unbekannt war, ein wie hervorragender Künstler Gustav Olms war, den ich wohl von Ansehen aus gemeinsamer Studienzeit auf der staatlichen Kunstakademie, an der ich fast 30 Jahre als Lehrer wirkte, kannte, – dessen künstlerisches Schaffen mir aber ganz unbekannt geblieben war, wie fast der gesamten Düsseldorfer Künstlerschaft! […] Wie war das nur möglich? Bei einer so ungewöhnlich starken Begabung?“
Ironie des Schicksals: Olms wohnte seit 1897 im Zentrum Düsseldorfs und von 1910 bis zu seinem Tod 1927 Am Wehrhahn und somit in der Nachbarschaft zum Jakobigarten – der Heimat des Malkastens.
Über die Motive für Olms’ Fernbleiben von der Akademie kann nur gemutmaßt werden, ein Grund mag die vorherrschende Ausrichtung gewesen sein. Als Kunststadt verlor Düsseldorf im späten 19. Jahrhundert gegenüber Berlin und München an Bedeutung. Während sich in den genannten Städten Sezessionen gründeten, die moderne Einflüsse aus dem Ausland aufnahmen, pflegte man in Düsseldorf weiterhin einen der nationalen Tradition verhafteten akademischen Stil. Die Historien- und Monumentalmalerei Eduard von Gehbardts und Peter Janssens standen beispielhaft für diese Richtung. Am Rhein war man sich darüber durchaus im Klaren. 1901 räumt Friedrich Schaarschmidt in seiner Geschichte der Düsseldorfer Kunst ein:
„Eine eigentliche ‚Moderne‘, wie sie anderwärts entweder auf energischem Impressionismus oder aber bloß auf haltlosem Nachahmen ausländischer Kunst beruht, besitzt Düsseldorf nicht, und das ist der vielen Gründe, weshalb die Düsseldorfer Kunst außerhalb zuweilen als rückständig bezeichnet worden ist. Es kann nicht geleugnet werden, daß Manches von diesen neuzeitlichen Bestrebungen, ein intensiveres Farbenstudium, ein consequentes Freilichtmalen, vor Allem eine freiere und rücksichtslosere Motivenwahl, der Düsseldorfer Malerei nur zu sehr fehlt.“
Auffällig ist, dass bedeutende Zeichner ihre Ausbildung in Düsseldorf absolvierten – sich aber andernorts entfalteten. Paul Horn begründet dies mit der überragenden Stellung der Malerei und der geringeren Schätzung der Zeichnung als eigenständige Kunstform an der Akademie:
„Ob Künstler wie Wilhelm Busch, Thomas Theodor Heine und Heinrich Vogeler, die durch die Düsseldorfer Akademie gegangen sind, in Düsseldorf ihren Weg so leicht gefunden hätten, allgemein anerkannt und berühmt zu werden, ist jedenfalls fraglich. Die überragende zeichnerischen Befähigung, über die sie verfügten, galt in Düsseldorf, so sehr sie auch anerkannt worden sein mag, eben nur als Teil der Vorraussetzung für wirkliche Künstlerschaft.“
Es war nicht zuletzt auch der zeitgenössische Zeichenunterricht, der das Abzeichnen von antiken Vorlagen mittels Wischtechnik vorsah, mit der sich die Genannten nicht anfreunden konnten. Wilhelm Busch, der 1852 nicht einmal ein ganzes Jahr an der Düsseldorfer Akademie studierte, meinte launisch über diese Zeit:
„Nachdem ich mich schlecht und recht durch den Antikensaal hindurchgetüpfelt hatte, begab ich mich nach Antwerpen in die Malschule, wo man, so hieß es, die alte Muttersprache der Kunst immer noch erlernen konnte.“
Zwar wurde mit der Berufung Peter Janssens zum Professor und der Einrichtung einer Antiken- und Naturklasse im Jahr 1877 nun auch verstärkt der Unterricht am lebenden Modell gelehrt, das Kopieren nach Gipsabgüssen bestand jedoch fort. Noch 1892 durchlief Heinrich Vogeler diese Schulung, deren Ablehnung zwischen ihm und Janssen zu einem ernsten Konflikt führte, woraufhin Vogeler das Studium unterbrach:
„Ich wollte beim Zeichnen fühlen, wie so ein Körper gewachsen ist. Nicht die malerische Erscheinung, sondern das Organische, den Bau, die Form suchte ich zu ergründen.“
War auch Olms unzufrieden mit den Düsseldorfer Unterrichtsmethoden, so dass er das Selbststudium vorzog? In einem Fall war der Grund prekärer Natur: für das Jahr 1891 verzeichnet die Schülerliste, dass Olms die Antiken- und Naturklasse bei Peter Janssen wegen „Mangel an Mitteln“ nicht regelmäßig besuchen konnte. Immerhin blieb er der Stadt treu und bezog sie gelegentlich mit in seine Signatur ein. Auf einer Zeichnung des Düsseldorfer Marktplatzes verweist er auf die Künstlerstadt, indem er einen Maler (ein Selbstportät?) mit Staffelei und Malkasten den Platz überqueren lässt. Mit welchen Künstlerkollegen Gustav Olms indes verkehrte oder wie sich seine geschäftlichen Kontakte gestalteten: Darüber können nur begrenzte Aussagen gemacht werden. Verbindungen lassen sich jedenfalls feststellen zum Düsseldorfer Druck- und Verlagshaus L. Schwann, zu dem in Düsseldorf tätigen Buchbinder Paul Adam (1849 – 1931) oder auch zu Richard Brend’amour (1831 – 1915), einem verdienten Holzschneider und Inhaber der Graphischen Kunstanstalt R. Brend’amour & Co. Für die ersten Ausgaben der Apollo-Theater-Revue, die Besucherzeitschrift des Düsseldorfer Apollo-Theaters (Königsallee, Ecke Adersstraße), schuf Olms ein Titelbild; ein späterer Innentitel kann ihm ebenfalls zugeschrieben werden.
Gustav Olms, Wilhelm Busch, Heinrich Vogeler und Thomas Theodor Heine, – sie teilten nicht nur den mangelnden akademischen Erfolg: Alle vier Künstler besaßen eine starke zeichnerisch-illustrative Begabung, die sich gegen die Malerei durchsetzte. Die Gemälde Heines und Vogelers zeigen, wie die Linie dominiert: Sie wirken wie aufwändig kolorierte Ausgaben ihrer Zeichnungen. Busch betrachtete sich auf diesem Gebiet ganz als „Privatier“ und malte nur zum eigenen Vergnügen. Seine späten, expressiven Bilder scheinen bereits Stilmittel der Moderne vorwegzunehmen, doch plagten den „Urvater des Comics“ beständig Zweifel an der Malerei. Und auch Olms konnte als Maler schließlich nicht reüssieren.
„Der Zeichenstift und die Feder blieben sein Hauptelement, und an der Vorliebe für geistreiche Illustrationen scheiterte sein Künstlertum als eigentlicher Maler.“
schrieb der Vorsitzende des Landesarchivs, Archivrat Otto Redlich (1864 – 1939), in einer Besprechung über das Niederrheinische Sagenbuch.
Olms' offizielle Berufsbezeichnung in Adressbüchern wechselte 1905 von Maler zu Kunstmaler. Tatsächlich verdingte er sich als Gebrauchsgrafiker, genauer als Illustrator, und war in erster Linie für Verlage tätig. Unter den von Olms illustrierten Büchern befinden sich Fibeln, Märchen- und Sagenbücher und Beiträge zur niederrheinischen „Heimatkunde“.
Einen Beitrag leistete Olms auch zum Erscheinungsbild eines bekannten deutschen Unternehmens. Durch seine Bekanntschaft mit Karl Schmitz-Scholl (1868 – 1933) erhielt der Künstler mehrere Aufträge für die 1893 von Karl und dessen Bruder Wilhelm Schmitz-Scholl gegründete Hamburger Kaffee-Import-Gesellschaft Emil Tengelmann. Infolgedessen fertigte Olms Illustrationen für Werbe- und Verkaufsartikel der Firma Tengelmann.
Zu der komplizierten Situation des verhinderten Malers gesellte sich noch ein Mangel an Disziplin, dessen Leidtragende denn auch die Auftraggeber waren.
„Nur wer die sonderliche Arbeitsweise von Gustav Olms kennt und weiß, daß er nur zu arbeiten pflegte, wenn ihn die nackte Not dazu zwang, kann ermessen, welche Hindernisse von Seiten des Künstlers es stets zu überwinden galt, wenn man zum Ziele kommen wollte.“
So Steiger über die Entstehung der Federzeichnungen zu dem Mappenwerk Aus einer niederrheinischen Kleinstadt. Die Bilder – romantische Ansichten des alten Moers – gehören zu den besten Beispielen Olms'scher Zeichenkunst, bestechen durch Anekdotenreichtum und Detailliebe. Nicht nur in diesen Zeichnungen hat er der Stadt ein Denkmal gesetzt: immer wieder tauchen die vertrauten Ansichten in anderen Projekten auf. Das Motiv Am Neutor (eine von alteingesessenen Moersern „Klompenwenkel“ genannte Ecke) verwendet er, leicht abgewandelt, in den Illustrationen zu Theodor Storms Erzählungen Bötjer Basch und Pole Poppenspäler. In der Tat erwähnt Steiger die „warme Sympathie“ des Künstlers für Moers und dass er gelegentlich in Betracht zog, zusammen mit dem Maler Karl Untermann ein altes Bauernhaus zu mieten, um einen „gemeinsamen Junggesellenhaushalt“ aufzumachen.
„Aber, o Schreck, kaum hatte Olms wieder einmal Düsseldorfer Luft gerochen, als der ganze schöne Plan wie eine Seifenblase zerplatzte.“
Auf welche Art Olms die Auftraggeber in seinem Atelier Am Wehrhahn („dieser romantischen Räuberhöhle des 19 Jahrhunderts“) empfing, davon berichtet der folgende Abschnitt:
„Sehr schwer war es, bei dem Künstler Einlaß zu bekommen, und nur zu oft mußte man unverrichteter Dinge wieder umkehren. Oft habe ich es erlebt, daß die verschiedenen Abgesandten der Verleger sich vor dem Atelier ein unfreiwilliges Stelldichein gaben und dort gemeinsam ‚antichambrieren‘ mußten. Olms konnte von seinem Fenster aus die wartenden Besucher, die so einträchtig beieinander standen, beobachten und amüsierte sich köstlich, seine Auftraggeber so an der Nase herumzuführen. Es war wie gesagt sehr schwer, von ihm eine versprochene Arbeit zum festgesetzten Termin zu erhalten. Wenn er merkte, daß ich unerbittlich sein Atelier nicht eher verlassen würde, bis ich meinen Zweck erreicht hatte, fing er endlich an zu arbeiten.“
Selbst bei kritischer Lesart – Ausschmückungen und Überspitzungen eingerechnet – lassen Wilhelm Steigers Erinnerungen Olms unterm Strich als Eigenbrötler erscheinen. Eine gewisse Unstetigkeit in seinem Privatleben kann außerdem nicht geleugnet werden. So hat Joachim Beinicke für den Zeitraum 1897 bis 1927 sieben verschiedene Adressen in Düsseldorf nachgewiesen. Delikat: 1905 wurde Charlotte Hengst, damals Haushälterin bei Gustav Olms, ein Sohn Johann geboren. Erst im Nachhinein wandelte sich diese „wilde Ehe“ in ein offizielles Verhältnis, nahmen Charlotte und Johann den Namens Olms an. Bis 1933 lassen sich sowohl die Mutter (Witwe Olms) als auch der Sohn noch in Düsseldorf verorten. Ob der Gewährsmann Steiger von diese Beziehung wusste oder nicht – jedenfalls schweigt er sich dazu vollständig aus.
Bei einem seiner letzten Besuche („Er war inzwischen in ein anderes, noch fragwürdigeres Atelier umgezogen...“) fand Steiger den Künstler schließlich todkrank vor. Es kostete ihn alle Mühe, ihn zu überreden, sich ärztlich behandeln zu lassen. Im Moerser Bethanien-Krankenhaus wurde Olms gesund gepflegt und kehrte anschließend nach Hause zurück.
„Doch hat die Besserung seines Zustandes nicht lange angehalten. Als Gustav Olms gestorben war, standen nur wenige Freunde an seinem Grab. Diese wenigen aber wußten, was die Kunstwelt mit diesem eigenwilligen Künstler verloren hatte.“